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Luther und der arme Sünder im Narrenhäs
Eine Fasnacht und zwei Konfessionen

"Gott will, daß wir fröhlich sein sollen und er haßt die Traurigkeit. Wenn er nämlich wollte, daß wir traurig wären, würde er uns nicht Sonne, Mond und die Früchte der Erde schenken, die er uns alle zur Freude schenkt" - sprach einst Martin Luther in guter Laune zu seinen Tischgenossen. Und dennoch feiern die Protestanten bis heute keine oder kaum Fasnacht. Wohl haben sich die konfessionellen Grenzen und damit auch die des Brauchtums übereinander geschoben: Durch die Aufnahme der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg sind die katholischen Hochburgen nicht mehr ganz so hochkatholisch und die protestantischen nicht mehr so erzevangelisch, wie sie es noch bis 1945 waren.

Doch es gilt der Befund, der Volkskundler und Theologen gleichermaßen beschäftigt: Die katholische Kirche feiert und fördert die Fasnacht, die evangelischen Pastoren stehen eher ablehnend bis skeptisch abseits. Warum eigentlich?

Historisch gesehen war die Fasnacht in den Augen der Regierenden eher ein Ärgernis. Die Fasnacht im 16. Jahrhundert war keine Veranstaltung der Mittel- und Oberschichten, die heute das wattierte närrische Szepter führen (siehe die honorigen TV-Narren in "Mainz bleibt Mainz"). Fasnacht im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war das Fest der Unterschichten. Einmal im Jahr konnte sie sich frei entfalten, frei sprechen und so ihrem Elend entfliehen. Die Quellen aus dieser Zeit belegen, daß die Tage vor Aschermittwoch oft zum maskierten Rebellentum auswuchsen.

Diese Art von gefährlichem Murnmenschanz suchten die Fürsten zu unterbinden. Die Landes- und Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts drohen strikte Strafen für das Feiern der Fasnacht an. Katholische und evangelische Höfe waren sich in diesem Punkt völlig einig. Nur konnten die evangelischen Herrscher das Fasnachtsverbot gründlich durchsetzen, während die katholischen Regenten hier gründlich scheiterten.. Mit anderen Worten: Die Reformation gab den Landesherren das geeignete Wort und geschickte Prediger an die Hand, um dem Fasnachtslaufen den Garaus zu machen.

Theologisch betrachtet liegen den beiden Konfessionen völlig verschiedene Menschenbilder zugrunde. Katholische Gelehrte gehen von der Willensfreiheit des Menschen aus. So konnte man den Schäfchen fünf Tage sündiges Leben gewähren, wenn sie am Aschermittwoch ihren lasterhaften Fall einsahen, Buße taten und reuig fasteten. Außerdem verbanden die katholischen Bischöfe auch eine pädagogische Absicht mit der Fasnacht: Wer einmal im Jahr richtig darf, schickt sich das Jahr über williger in Schicksal und Zeitläufe.

Luther verwarf diese Vorstellung von der völligen Willensfreiheit des Menschen. Seiner Deutung nach war der Mensch "gleichzeitig sündig und gerecht" (simul justus et peccator). Die freie Entscheidung, Gutes oder Böses zu tun und zu lassen, sah der Reformator beim Menschen nicht gegeben. Wer aber nicht frei entscheiden kann, wer also an sich sündig und gut ist, der bedarf keiner Fasnacht mehr. So folgerten wenigstens Luthers Schüler und Nachfolger. Evangelische Kirchenordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts verbieten die Fasnacht deshalb strikt. Bis in unsere Zeit hinein gilt Fasnacht in den Augen mancher Protestanten als unsauberes Teufelswerk.

Keine Ausnahme ohne Regel: Der Basler Morgenstraich wird in einer Stadt gefeiert, in der das reformierte Bekenntnis überwiegt. Der Morgenstraich in Basel wurde zunächst von der katholischen Minderheit 1835 aus der Taufe gehoben. Später schlossen sich auch reformierte Gruppen im sonst so prinzipientreuen Basel an.

Freilich ist die satirische Absicht unverkennbar: Die Schweizer feiern eine Woche später; wenn die Katholiken bereits im fünften Tag fasten, legen die Basler erst richtig los - mit einer eingebrannten Mehlsuppe, die es in sich hat - frisch aus Teufels Küche.

Uli Fricker, aus dem "Südkurier" vom 12.2.1994

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