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Das große Fest der schönen, alten Bräuche

Die Geburtsstunde der Narrentreffen unter freiem Himmel:
Vor 75 Jahren treffen sich die Fastnachtsnarren in Villingen

Aus dem heutigen Fasnetsgeschehen im Südwesten sind sie kaum wegzudenken, am 12./13.Januar 1929 feierten sie mit einem ersten Umzug des Gauverbandes der badischen und württembergischen althistorischen Narrenzünfte (der heutigen Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte VSAN) fast so etwas wie eine Premiere in der alten Zähringerstadt Villingen: die Narrentreffen unter freiem Himmel.
Die ersten größeren Treffen der neueren Zeit in Karlsruhe (1843) und Offenburg (1844) waren schon Geschichte; die (gemeinsamen) Schlittenfahrten der Baaremer Narren aus Donaueschingen, Hüfingen, Schwenningen ebenso. Das erste Saal-Narrentreffen wurde vom Landesverein "Badischer Heimatbund", dessen Geschäftführer der alemannische Regionalhistoriker und Volksschriftsteller Hermann Eris BusseBusse war, am 28. Januar 1928 in Freiburg veranstaltet. Nun aber kündigte sich eine "Veranstaltung eigener Art, wie sie Villingen noch nie gesehen, auch Jahrzehnte lang wohl nie mehr sehen wird", an: eine Selbstdarstellung der Zünfte und ihrer Ziele, eine Brücke der Begegnung für die Brauchpfleger, ein geeignetes Mittel, kulturelles  Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften: schwäbisch-alemannische Identität; Regionalbewusstsein. "Die Veranstaltung trägt rein historischen Charakter, ist also kein Fastnachtstreiben, sondern ... wie ein großes Gaufest zu bewerten. Jedwedes Maskentreiben auf den Straßen ist deshalb selbstverständlich verboten", hieß es damals. Geboten wurde Althistorisches: "kein Fastnachtstrubel im modernen Sinne; im Gegenteil ein Stück Kulturgeschichte." Hier verrät sich das lebenslange Bestreben Albert Fischers, des geistigen Vaters und Vordenkers der VSAN, des unvergessenen Villinger Fasnetsfreundes: das um eine ästhetisierte und ethisierte, lokal- oder regionalspezifische Fastnacht, ein "historisches Fest" und ernstzunehmendes kulturelles Ereignis, das "mit den seichten Lustbarkeiten des Karnevals" nichts gemein haben sollte. 

Neuer Stellenwert
1920 brachte er der Regierung angesichts der Fastnachtsverbote dieses Denken nahe - und erreichte Ausnahmeregelungen für historische Bräuche in der Zeit der Not, in der nach der nationalen Katastrophe die Heimat einen neuen Stellenwert gewann. 
"In der Schwarzwaldhauptstadt, wo die Fastnacht und alles was mit ihr zusammenhängt, aus alten Zeiten überliefert ist und ständig hochgehalten wurde", stand "Über allem die Heimat!". Als Motto über dem Treffen aber "Sitt' und Brauch der Alten wollen wir erhalten". Traditionswahrung zur Zukunftssicherung: "Die Narrenzünfte entstammen längst vergangenen Zeiten. Dass sie sich erhalten haben in Sturm und Wetter, in guten und bösen Tagen, ist ein Beweis kerngesunder Kraft, blühenden Lebens, treuer Liebe zur Heimat." Die wurde in Festansprachen als versöhnendes, erhaltendes und aufbauendes Moment" denn auch gepriesen. Wie die Freude an den alten Bräuchen.
Sie erfüllte in der Feststadt das Herz wohl eines jeden. Schon beim "Brauchtumsabend" am Samstag, als jede der beinahe 30 teilnehmenden Zünfte "unter klingendem Spiel und unter Erweisung der Ehrenbezeugung durch die (erstmals öffentlich auftretende) Bürgermiliz" von der Gewerbeschule zur Tonhalle geleitet wurde. Erst recht am Sonntag, als der Umzug durch Niedere und Obere Straße zum Münsterplatz führte. Dort setzten die Stockacher ihren Stammbaum aller Narren. Die Aistaiger belustigten mit ihrem Wurstschnappen das Publikum; die Rottweiler begeisterten es mit der Vielzahl ihrer Fasnetsfiguren; die Oberndorfer, darunter ein 81-Jähriger, zeigten sich besonders freigebig; die Donaueschinger übten sich im Strählen; die Möhringer erfreuten mit ihrem "niedlichen Narrensprung und der Möhrin, die die Vereinsfahne trug"; die Elzacher Schuddige und der Taganrufer taten es ihnen gleich; die Überlinger schnellten ihre Karbatschen; blendende Schönheit: die Schömberger "in ihren besonders althistorischen Kostümen"; auf dem rechten Wege: die Schramberger, deren Narrengewand Villinger Einflüsse nicht leugnet; beifallsumtost die Villinger selbst mit ihren lebendigen Bildern jahrhundertealter Volkskultur.

Schau der Schemmen
Örtliche Bräuche boten die Zünfte fast ohne Ende. "Das eigenartige, originelle und so wirksam schöne Schauspiel" geriet zur "mächtigen Kundgebung für das Heimatwesen, für die Erhaltung alter, schöner Sitten und Gebräuche". Wegweisend wurde es, ein voller Erfolg für die mit ihrer Gastfreundschaft alle Herzen im Sturm erobernden Villinger - die auch mit einer faszinierenden Schemmenausstellung im Raben, die einen Überblick von den Brettle- über die Halbkreuzer- und Bildhauerlarven bis zu modernen Erzeugnissen wie Kupfer- und Aluminiummasken gewährte, Könner und Kenner ins Schwärmen geraten ließen . Schwerer wiegt dies als die Kritik am "folgenschweren Schritt von der ortsbezogenen Pflege traditioneller Fastnachtsbräuche zur überörtlichen folkloristischen Darbietung" - die die Zeit erforderte.

Michael J. H. Zimmermann , "Südkurier", 25.2.2004 (ergänzt)
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